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Diagnose Ermüdungsbruch
Diagnose Ermüdungsbruch
Überlastung hat viele Gesichter und kann unterschiedlichste Auswirkungen haben. Selbst Knochen können von ihr betroffen sein. Welche Folgen das haben kann, erläutert der Wiener Sporttraumatologe Dr. Arthur Schultz im Gespräch mit Medizinjournalistin Sonja Streit.
In den Medien wird immer wieder von Leistungssportlern berichtet, die einen Ermüdungsbruch erlitten haben. Worum handelt es sich dabei?
Der Ermüdungsbruch, auch Stressfraktur genannt, ist eine Verletzungsform, die aus ständiger Überlastung resultiert. Er betrifft sowohl Leistungs- als auch Hobbysportler und entwickelt sich in der Regel über einen langen Zeitraum hinweg. Irgendwann kann der betroffene Knochen die Kraft, die auf ihn einwirkt, nicht mehr ausgleichen, was zu einem kompletten oder inkompletten Bruch führt. Normalerweise halten unsere Knochen Belastungen durchaus Stand, aber bei dieser Frakturform ist der betroffene Teil im wahrsten Sinne des Wortes „ermüdet“ oder „gestresst“.
Welche Extremitäten können davon betroffen sein?
Oberschenkel, Knie, Schienbein, Sprunggelenk und Fuß. Also alle Extremitäten, die axial belastet werden. Überspitzt gesagt betrifft der Ermüdungsbruch die Hände oder Schultern deshalb nicht, weil wir nicht auf ihnen gehen. Bei spontanen Frakturen, die Rippen oder Wirbelkörper betreffen und beispielsweise beim starken Husten entstehen, handelt es sich vermutlich eher nicht um Ermüdungsbrüche.
Sie sagten, das Problem entwickle sich über einen langen Zeitraum hinweg. Was verstehen Mediziner unter dieser „Entwicklung“?
Zunächst einmal können wir nicht benennen, welche Größenordnung dieses Zeitfenster hat. Wir wissen nur, dass sich der Ermüdungsbruch nicht über Nacht entwickelt. Meist geht ihm die Entstehung eines Knochenmarksödems voraus, was bedeutet, dass sich der Knochen mit Flüssigkeit füllt und ihn damit anfällig macht. In weiterer Folge bricht er dann komplett oder inkomplett.
Das heißt, dass die Früherkennung eines Knochenmarksödems die Entstehung eines Ermüdungsbruchs möglicherweise verhindern könnte?
Leider stellt sich die Diagnose desselben oftmals schwierig dar. Die Patienten klagen meist über Schmerzen unter Belastung, doch im Röntgen ist in dieser Phase in der Regel nichts zu sehen. Sichtbar werden Ödem und Knochenschädigung erst im Magnetresonanztomographen. Das Knochenmarksödem an sich macht sich in den meisten Fällen durch eine Schwellung, punktförmige Druckschmerzhaftigkeit sowie starke Schmerzen bei Belastung bemerkbar, was aber nach einiger Zeit wieder nachlässt. Manche Patienten sind lediglich von belastungsabhängigen Schmerzen betroffen. Es gilt also, sich von den Betroffenen alle Symptome genauestens schildern zu lassen.
Vom Beginn der Verletzung bis zur genauen Diagnose vergeht immer etwas Zeit, in der ein Mensch klarerweise die Extremität weiterhin belastet, weil er sich ja fortbewegen muss. Wüssten die Betroffenen, dass sich ein Knochenmarksödem gebildet hat, könnte sie sofortige Entlastung möglicherweise vor einer Fraktur bewahren. Das ist allerdings nicht wirklich realistisch, wenn es sich um jemanden handelt, der nicht ständig unter ärztlicher Beobachtung steht wie das beispielsweise bei Spitzensportlern der Fall ist.
Sendet der Körper „Alarmsignale“ aus, wenn ein Ermüdungsbruch entsteht?
Schmerzen sind immer ein Alarmsignal. Wenn man sich sportlich betätigt und dabei starke Schmerzen hat, sollte man keinesfalls in diese hineintrainieren. Viele Hobbysportler sind der Ansicht, dass sie erst dann richtig trainieren, wenn es weh tut – das ist ein fataler Irrtum. Der Ermüdungsbruch resultiert, wie bereits erwähnt, aus ständiger falscher Belastung. In der Regel verschwinden die Schmerzen, sobald nicht mehr belastet wird, was ein Zeichen sein kann. Wer unsicher ist, sollte sich beraten und seine Bewegungsabläufe von Experten analysieren lassen. Richtiges Schuhwerk sowie Einlagen können Ermüdungsbrüchen im Fußbereich vorbeugen.
Welche Folgen hat eine derartige Diagnose?
Sportlich aktive Menschen müssen sich für sechs bis acht Wochen von Sportarten wie Wandern, Laufen oder Fußball verabschieden. Entlastung ist das Um und Auf. Je nach Körperregion sind entsprechende Orthesen in Kombination mit Krücken ratsam, in manchen Fällen sollte ein Gips angelegt werden. Schwimmen und Radfahren sind die einzigen Sportarten, denen man auch mit Stressfraktur bedenkenlos nachgehen kann – aber in Maßen und in Kombination mit Entlastung im Alltag. Die Diagnose erfordert sehr viel Geduld. Man kann den Körper zwar in Form von Kalziumtabletten und Eiweiß unterstützen, die Heilung aber nicht beschleunigen. Bei vielen Patienten stellt das Ödem ein Problem dar, da es sich zunächst einmal auflösen muss, damit der Knochen heilen kann. Deshalb ist in diesen Fällen eine mehrtätige Infusionstherapie in Kombination mit einem stationären Aufenthalt im Spital ratsam. Der Wirkstoff, der Betroffenen mehrere Stunden täglich verabreicht wird, sorgt dafür, dass das Knochenmarksödem rascher abtransportiert wird. Danach muss man sechs Wochen voll entlasten, sich täglich eine Thromboseprophylaxe injizieren und viel Geduld aufbringen.
Welche Therapieform ist notwendig, wenn es sich um einen kompletten Bruch an einer ungünstigen Stelle handelt?
Es gibt Bereiche des Körpers, in denen komplette Brüche von Anfang an eine Vollentlastung nötig machen, wie zum Beispiel der Oberschenkel. In diesen Fällen können wir mit einer Operation, in deren Verlauf wir einen Marknagel einsetzen, dafür sorgen, dass der Patient teilweise belasten darf. Die Heilung wird durch den Eingriff keinesfalls beschleunigt, aber die Betroffenen sind wenigstens nicht gezwungen, wochenlang nur zu sitzen oder zu liegen. Brüche, die einen Eingriff erfordern, werden mit Platten, Nägeln oder Schrauben gerichtet, müssen aber genauso lange heilen wie jene, die konservativ behandelt werden. Entlastung, Ruhigstellung, Hochlagern und Kühlen sind jene Dinge, mit denen die Patienten aktiv den Heilungsverlauf eines Ermüdungsbruchs unterstützen können.
Gibt es neben den genannten Maßnahmen Alternativen, um der Stressfraktur zu Leibe zu rücken?
Ja, die extrakorporale Stoßwellentherapie. Mit dieser werden körpereigene Mechanismen zur Reparatur des Knochens mobilisiert. Für den Knochen angewandt, muss sie unter Betäubung erfolgen, da hochenergetische Wellen auf den betroffenen Bereich gerichtet werden, die zu Einblutungen führen. Diese regen den Heilungsprozess an. Allerdings muss auch nach dieser Behandlung entlastet und ruhiggestellt werden.
Welche Therapieform die richtige ist, wird individuell entschieden. Was allerdings für alle Patienten gleichermaßen gilt, ist die Tatsache, dass nach erfolgreicher Behandlung keinesfalls so weitergemacht werden darf wie bisher.
Dr. Arthur Schultz ist Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie, Mitbegründer des 1. Wiener Nervenschmerzzentrums, arbeitet als Oberarzt sowie Leiter der Knieambulanz im Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler und ist als Privatarzt im ersten Wiener Gemeindebezirk tätig.
Nähere Informationen:
www.drschultz.at
www.medspa.cc
www.nervenschmerz.com
Ein Gesundheitsbeitrag von Mag. Sonja Streit.
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