Der Wiener Zentralfriedhof
Der Begriff Friedhofstourismus ist ja wirklich makaber und so mancher kritische Zeitgenosse würde darin auch eine gewisse Pietätslosigkeit erkennen. Nähert sich der interessierte Friedhofsbesucher den Orten der letzten Ruhe jedoch mit der angemessenen Würde, erschließen sich ihm mitunter wahre Schätze menschlicher Kulturgeschichte.
Der Wiener Zentralfriedhof zählt jedenfalls zu den weltweit herausragendsten Totenkultstätten und gibt jedem Besucher ein profundes Zeugnis über den Umgang mit dem Tod im Laufe der moderneren Zeitgeschichte.
Auf nahezu 2,5 Quadratkilometern befinden sich rund 330.000 Grabstätten, in welchen an die 3 Millionen Menschen aller Konfessionen ihre letzte Ruhe finden. Der Wiener Zentralfriedhof ist flächenmäßig nach Hamburg/Ohlsdorf der zweitgrößte Europas. Seine Parklandschaft ist ein naturbelassenes Juwel, dessen Ausstrahlungskraft den Besucher ebenso bannt, wie die architektonischen Prachtbauten, die dieser Stadt der Toten einen irdischen Glanz menschlicher Schaffenskraft geben.
Mit der legendären Straßenbahnlinie 71 gelangt man auch heute noch vom Stadtzentrum Wiens direkt zum Zentralfriedhof. Der "71er", wie diese Straßenbahn von der Wiener Bevölkerung mit melancholischem Unterton genannt wird, brachte einem nämlich auch in schon längst vergangenen Tagen zur letzten Ruhe. In knappen 20 Fahrminuten erreicht man vom Wiener Schwarzenbergplatz aus das Tor 2, das Hauptportal des Wiener Zentralfriedhofs.
Als dieser Central-Friedhof der Stadt Wien am 1. November 1874 offiziell eröffnet wurde, war er unter den Wienern alles andere als beliebt. Eine trostlos karge Einöde, wie Chronisten vermerkten, und ein beschwerlicher, einstündiger Weg von Wien nach Simmering/Kaiserebersdorf. Die zur damaligen Zeit einsetzende Bevölkerungsexplosion Wiens und das absehbare Erreichen der Kapazitätsgrenzen der innerstädtischen Friedhöfe machten den Errichtungsbeschluss durch den Wiener Gemeinderat aber notwendig.
Um die Skepsis der Bevölkerung gegenüber der neuen Totenstätte zu reduzieren, wurde begonnen, Ehrengräber zu errichten und die sterblichen Überreste prominenter Persönlichkeiten, wie unter Anderem Ludwig van Beethoven und Franz Schubert, von anderen Friedhöfen hierher zu überführen. Gekonnt inszenierte Begräbnisse vieler weiterer "Promis" erfreuten sich schon bald größter Beliebheit unter der Wiener Bevölkerung. Als im Jahre 1910 die im Jugendstil errichtete Friedhofskirche Zum Heiligen Karl Borromäus nach dreijähriger Bauzeit ihrer Bestimmung übergeben wurde, waren die letzten Zweifel verflogen.
Bis zum heutigen Tage wird die Tradition der Bestattung verstorbener Persönlichkeiten in Ehrengräbern hochgehalten. Von Politikern über Künstler bis hin zu Sportlern findet hier die verstorbene Crème de la Crème der österreichischen Gesellschaft ihre letzte Ruhe.
Der Wiener Zentralfriedhof als letzte Ruhestätte von Millionen ist für die Lebenden aber nicht nur ein Ort des Gedenkens, Staunens und Entdeckens, sondern vor allem auch ein Ort der Einkehr, Besinnung und Meditation. Nirgendwo sonst ist die Verbindung zwischen Glanz, Macht und Reichtum aber auch Armut, Leid und Bedeutungslosigkeit so eng, wie in den endlosen Alleen, in denen jedem so klar vor Augen geführt wird, dass es letztendlich nur der Tod ist, der über alles Irdische herrscht und triumphiert.
Weitere Informationen und Detailpläne (im Webservice der Stadt Wien)
Mit Öffis zum Zentralfriedhof (Website der Wiener Linien)
Ein Beitrag von Hans Varga.