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Wenn der Alltag zum Lustkiller wird

Alltag als Sexkiller?
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Stress ist heutzutage allgegenwärtig. Während jener positiver Natur durchaus beflügelnd wirken kann, hat negativer Stress nicht selten Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Was das für eine Partnerschaft bedeutet, erläutern Sexologin Ann-Marlene Henning und Urologe Markus Margreiter im Gespräch mit Medizinjournalistin Sonja Streit.

Inwieweit kann sich Stress negativ auf die Libido auswirken und wie kann man dem entgegenwirken?

© Gunnar Meyer / Paartherapeutin Ann Marlene Henning / Zum Vergrößern auf das Bild klickenAnn-Marlene Henning: Ich habe den Eindruck, dass die weibliche Libido auf Stress sensibler reagiert bzw. von Stress einfacher beeinflusst werden kann. Nicht selten ist Lustlosigkeit bei Frauen einem ganz anderen Grundproblem geschuldet, das viel weiter zurückliegt. Als Sexologin bin ich häufig mit Klientinnen konfrontiert, die nicht aufgrund von Stress lustlos sind, sondern es eigentlich vorher schon waren, dies aber mit Alltagsproblemen in Verbindung bringen. Es gilt erstmals darum, solchen Frauen im Rahmen einer Sexualtherapie beizubringen, sich besser zu spüren. Medizinisch gesehen, sind Frauen häufig sogar schneller erregbar als Männer, das hat die Natur so vorgesehen, allerdings nehmen Frauen das oft nicht wahr. Sie äußern in Laborversuchen „nicht erregt zu sein“, obwohl ihr Körper schon längst „ausgeschlagen“ hat, die Vagina schon feucht geworden ist. Es ist also manchmal ein kleiner Weg, der zurückgelegt werden muss, bevor auch subjektiv, also gefühlt, Lust vorhanden ist. Dabei ist Stress kein guter Begleiter, dann machen nämlich viele Frauen die Übungen für zu Hause gar nicht erst mit „weil sie kaum Zeit gehabt hätten“ oder „sich nicht danach fühlten“. Es würde sich jedoch sehr lohnen, würden sie!

© Markus Margreiter / Dr. Markus Margreiter / Zum Vergrößern auf das Bild klickenMarkus Margreiter: Bei Männern äußert sich Stress nicht selten in Form von erektiler Dysfunktion oder Libidoverlust. Dabei spielt das Alter des Betroffenen keine Rolle, denn stressbedingte Erektionsstörungen oder Lustlosigkeit können bei jedem Mann auftreten. Im Falle einer erektilen Dysfunktion wird die Fähigkeit beeinträchtigt, eine Erektion zu erreichen oder diese für einen befriedigenden Sexualakt aufrechtzuerhalten, was sich naturgemäß auch auf die Partnerin auswirkt. Nicht selten entwickeln Männer in der Folge Depressionen, ziehen sich zurück oder sind von Versagensängsten geplagt. Offene Kommunikation und Stressabbau – sei es durch Sport, Meditation oder Eliminierung negativer Einflüsse – können hilfreich sein. Wichtig ist, nicht in einen Teufelskreis zu geraten, der durch Druck entsteht. Erektionsstörungen sind kein Grund, seine Männlichkeit in Frage zu stellen. Lustlosigkeit oder erektile Dysfunktion sind Probleme, die offen angesprochen werden sollten. Zeit für sich sowie Zweisamkeit ohne Alltagstrott und stressende Faktoren können Männern ebenso helfen wie Frauen.

Was halten Sie als Experten von Medikamenten, die die Libido anregen sollen?

© Rogner & Bernhard GmbH & Co Verlags KG / Cover Make More Love / Zum Vergrößern auf das Bild klickenAnn-Marlene Henning: In Bezug auf Frauen halte ich derartige Präparate für nicht empfehlenswert. Frauen funktionieren einfach anders als Männer, denn bei ihnen reicht es nicht, einfach nur die Durchblutung anzuregen, damit sie Sex haben können. Die neue „Lustpille“ für Frauen, bei der es sich eigentlich um ein Psychopharmakon handelt, kann nicht die Lösung für Frauen mit behaupteter „eingeschränkter Libido“ sein. Schließlich muss ein solches Medikament täglich eingenommen werden und hat massive Nebenwirkungen, außerdem bringt es laut Untersuchungen gerade Mal 0,5-1 Mal im Monat mehr Lust. Viel wichtiger ist doch, zu lernen, sich selbst zu spüren. Es gibt so viele natürliche Möglichkeiten, um die weibliche Libido anzuregen. In meinem Buch „Make more Love“ erkläre ich genau, wie Erregung funktioniert. Die meisten Frauen ahnen nicht, weshalb sie beim Geschlechtsverkehr gar nicht, zu früh oder nicht vollständig zum Höhepunkt kommen. Mit ein wenig mehr Wissen über den Körper und dessen Funktionalität könnten viele Frauen ihr Sexualleben nachhaltig verbessern. Es geht um Dinge wie An- und Entspannung in den Muskeln, Atmung und Bewegung. Viele – sowohl Männer wie Frauen – spannen beim Sex sehr viel und lange an. Befriedigender Sex wird dann möglich, wenn man seinen eigenen Körper kennt und entsprechend mit ihm umzugehen weiß. Das kann man sowohl allein als auch mit dem Partner üben, schließlich lernt man nie aus.

Markus Margreiter: Zunächst einmal gilt, zu unterscheiden, ob ein Mann unter Libidoverlust oder erektiler Dysfunktion leidet, wenngleich diese beiden Problematiken durchaus miteinander in Verbindung stehen können.
Leidet ein Mann stressbedingt unter Libidoproblemen, ist Entspannung das Um und Auf. Eine adäquate Abklärung ist wichtig. Lustlosigkeit kann bei Männern aber auch körperliche oder seelische Ursachen haben, sich also als Symptom herausstellen. In solchen Fällen ist die Behandlung der Ursache sinnvoller, was in weiterer Folge positive Auswirkungen auf die Libido haben wird. Libidoverlust kann neben den genannten Ursachen durchaus auch eine Reaktion auf Erektionsstörungen sein, die wiederum auf den Patienten individuell zugeschnitten behandelt werden sollten.
Für Männer mit Erektionsstörungen sind potenzsteigernde Medikamente dann sinnvoll, wenn sie nicht aufgrund von bestimmten Lebensgewohnheiten ausgelöst werden. Ich führe mit meinen Patienten ausführliche Gespräche, um herauszufinden, welche Gründe für erektile Dysfunktion vorliegen. Können Stress, Bewegungsmangel und andere Faktoren, die derartige Probleme bedingen, ausgeschlossen werden, ist die Verschreibung solcher Präparate sinnvoll, um den Patienten und ihren Partnerinnen ein befriedigendes Liebesleben zu ermöglichen. Ursachenforschung vor der Verschreibung solcher „Hilfsmittel“ ist unumgänglich. Selbstverständlich sollte das Interesse, den Patienten adäquat zu helfen, immer im Vordergrund stehen.

Was empfehlen Sie Paaren, die aufgrund von Stress und Überlastung keine Lust mehr verspüren bzw. ihr Liebesleben „auf Eis“ legen?

Ann-Marlene Henning: Zunächst einmal sollte man herausfinden, ob es tatsächlich an beiden liegt oder ob nur einer von Lustlosigkeit betroffen ist. Nicht selten zum Beispiel verspüren Frauen mit zunehmendem Alter mehr Lust, da sie sich entspannen, ein besseres Körpergefühl erlangen und mit sich im Reinen sind. Meist sind es dann die Männer, die aufgrund ihres Alters „nicht mehr können“ oder wollen. Paaren, die stressbedingt keinen Sex mehr haben, empfehle ich, miteinander zu sprechen und Wünsche klar zu kommunizieren, aber vor Allem die Gründe für den Stress von außen zu reduzieren. Kann man mit seinem Partner aber über bestimmte Dinge nicht reden, liegt innerhalb der Beziehung etwas im Argen. Darüber sollte man sich im Klaren sein.

Markus Margreiter: Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil. Sex ist auch eine Form derselben, weshalb es für Paare fatal sein kann, wenn sie nicht mehr miteinander schlafen. Ein erfülltes Liebesleben ist für die Gesundheit von enormer Wichtigkeit, weshalb man immer über alles reden sollte, was man in der Partnerschaft als störend oder problematisch empfindet. Schläft das Liebesleben ein, ist häufig die verbale Kommunikation schon länger nicht mehr existent oder es ist nur eine Frage der Zeit, bis man überhaupt nicht mehr miteinander spricht. Das kann auf Dauer krank und unglücklich machen.

Wie lassen sich Lustkiller am effektivsten eliminieren?

© Iris Jucies / Akt_last / Zum Vergrößern auf das Bild klickenAnn-Marlene Henning: Lust ist etwas ganz Persönliches, weshalb man innerhalb einer Partnerschaft auch als eigenständige Person agieren sollte. Wer immer zu allem Ja und Amen sagt, sich aber selbst nie wirklich zeigt, wird für den anderen irgendwann uninteressant. Wichtig ist, zu sich und seinen Wünschen zu stehen. Wenn ein Partner es schafft, sich zu trauen, passiert es oft, dass der andere folgt. So passieren auf einmal neue Dinge und sehr intime Situationen entstehen, genau das entfacht die Lust auf den anderen, den man jetzt auf einmal wieder spüren kann und darf. Solche Intimität und Kommunikation sind unverzichtbar – wer sich dafür Zeit nimmt, kommt auch gegen „Lustkiller“ an.

Markus Margreiter: Gemeinsame Zeit sowie Aktivitäten alleine oder mit Freunden, miteinander sprechen, Wünsche äußern und ausreichend Platz für Intimität festigen jede Beziehung und sorgen für ein erfülltes Liebesleben bis ins hohe Alter. Wer den Druck herausnimmt, sich in bestimmten Fällen Hilfe bei Experten sucht und miteinander sprechen oder auch lachen kann, lässt sich von Lustkillern nur bedingt beeinflussen. Zeiten, in denen die Lust dem Alltagsstress weicht, sind völlig normal, sollten aber nicht zu lange andauern. Sobald man Unzufriedenheit verspürt oder merkt, dass der Stress überhandnimmt, gilt es, dem entgegenzuwirken.

Ann-Marlene Henning ist studierte Sexologin, Autorin und Paar- und Sexualtherapeutin mit eigener Praxis in Hamburg. Ihr neues Buch „Make more Love – Ein Aufklärungsbuch für Erwachsene“, das in Zusammenarbeit mit Anika von Keiser entstand, erschien im September 2014 bei Rogner und Bernhard.

Assoc. Prof. Priv. Doz. Dr. Markus Margreiter ist Facharzt für Urologie und Andrologie, Leiter der Spezialambulanz für Andrologie und erektile Dysfunktion am AKH Wien und Sexualmediziner.

Nähere Informationen:
www.doch-noch.de
www.dr-margreiter.at

Ein Gesundheitsbeitrag von Mag. Sonja Streit.

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